
Hanns Kralik (*27.05.1900), Düsseldorfs erster Kulturdezernent in den Jahren nach dem Nationalsozialismus, ist heute noch wenig öffentlich bekannt in der Stadt, in der er so viele Jahre tätig war. Seine Biografie mag dafür verantwortlich sein; sein Leben als Kommunist und Emigrant, als Widerstandskämpfer und engagierter Antifaschist auch nach 1945 mögen die Gründe für das lang andauernde Schweigen um seine Person sein.
Als Bergarbeitersohn am linken Niederrhein aufgewachsen, hatte er schon in der Kindheit mit beständigem Zeichnen begonnen. Auch als junger Bergmann über und unter Tage, als Mitglied in immer dezidierter politischen Gewerkschaften, wie dem Christlichen Bergarbeiterverband (1914), dem Bergarbeiterverband (1916), der Union der Hand- und Kopfarbeiter (1919), dem freigewerkschaftlichen Bauarbeiterverband (19234) und dem Deutschen Metallarbeiterverband (1924) sowie politischen Parteien, wie der USPD (1918) und der VKPD (1920), immer zeichnete er. Sei es auf den Wänden der Grubenwagen oder den hektographierten Titelblättern politischer Flugblätter und Zeitungen; erhalten sind heute grafische Arbeiten, Holzschnitte und Radierungen von 1922 an, wie die Radierung „Pflügender Bauer".
1920, mit dem Beginn seines Studiums an der „,Handwerker- und Kunstgewerbeschule zu Crefeld", zu dem ihm der Direktor und Architekt Carl Wolbrandt verholfen hatte, begann - parallel zur Brotarbeit in Bergwerk und Fabrik - seine professionelle Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst. Neben den grafischen Medien, in denen er das tägliche Leben in seiner Umgebung festhält, finden sich erste Selbstbefragungen in einer beginnenden Folge von Selbstbildnissen. Zudem entstehen erste Gemälde, so das großformatige „Der Kreuzträger"(1925), das zu einer Gruppe von Werken mit religiöser Thematik gehört.
Von 1924 bis 1928 studierte er an der Düsseldorfer Kunstakademie, mit Schwerpunkt auf dem Studienfach Werbewesen. Seine Professoren (Ernst Aufseeser, der Maler, Lithograph und Grafikdesigner und Wilhelm Herberholz, Leiter der Abteilung für freie Grafik und Maltechnik) vermitteln ihm die gewünschten weiteren Kenntnisse, bis hin zum Kupferstich. Im Düsseldorf dieser Jahre wirken noch das „Junge Rheinland" und der Kreis um die „Mutter Ey" mit antiakademischen Positionen auf die jungen Künstle. Für Kralik wird etwa die „Kriegsmappe" von Otto Dix ein offensichtliches Vorbild für die eigene Arbeit: "Wie verschiedenartig ist die Kraft der einzelnen Blätter, ohne am Handwerklichen zu kleben."(1) Im Kulturleben der linken Szene gehörte Wolfgang Langhoff zu den Freunden, wie auch viele der jüngeren Künstler*innen.
In den Jahren nach seiner Meisterschülerschaft (1928) entstehen vielfältige grafische Arbeiten, die sich immer mehr auch in thematischen Gruppen zusammenschließen. Deren Titel spiegeln die Bildfindungen der Zeit: „Im Varieté", „Im Café", „Feiertag im Schrebergarten". Kralik arbeitet in verschiedenen Techniken, neben dunkelgrundigen Holzschnitten finden sich Radierungen und Aquatinten. Gegen Ende der 1920er Jahre entstehen zwei fulminante grafische Zyklen, etwa „Die Kleinstadt" von 1929, in dem ironisch-karikierend die Menschen und ihre Stadt in zehn linearen Radierungen festgehalten sind. 1931 folgt der Zyklus „Werktätige", mit schwarzflächigen Einzelfiguren auf weißem Grund, wie „Strickstrumpf" oder „Bankmann". Beeindruckend seine Gemälde um 1930, in neusachlicher Pinselführung; Industrie- und Stadtlandschaften, wie etwa „Aus meinem Fenster" (um 1930), das er mehrfach wiederholte, weil es in Ausstellungen erfolgreich war. Kralik signiert seine Gemälde nun mit einem großen „K".
Der Beginn von Leben und Arbeit mit Lya
Zunehmend stand für Kralik zum Ende der 1920er Jahre die politische Arbeit für die KPD im Mittelpunkt seines Schaffens. Seit 1928 arbeitete er mit seiner Lebensgefährtin Lina (Lya) Rosenheim (*22.10.1901) zusammen, die als sechstes von sieben Kindern aus einer jüdischen Familie in Wesel stammte. Sie war wie er Mitglied der KPD, Betriebsratsvorsitzende eines großen Bekleidungsgeschäftes. „So rückte das Jahr 1932 heran. Ich war zum Agitpropsekretär gewählt worden, an künstlerisches Schaffen war nicht mehr zu denken. Für den Lebensunterhalt sorgte meine Frau, wir waren seit drei Jahren zusammen. Sie war Angestellte in einem Warenhaus und Betriebsratsvorsitzende für Arbeiter und Angestellte." (2) Im Kampf gegen den aufkommenden Faschismus engagierten sich beide, bald auch in illegaler Arbeit. Im Frühsommer 1933 wurden sie wie viele andere verhaftet, in die Ulmer Höhe gebracht, verhört.
Hanns Kralik wurde in das neu eingerichtete Konzentrationslager Börgermoor transportiert; hier traf er unter anderen Wolfgang Langhoff wieder, der diese Zeit in seinem Buch „Die Moorsoldaten" (1934) schilderte, für das Kralik Zeichnungen fertigte. Für das hier entstandene Lied „Wir sind die Moorsoldaten“ fertigte er ein Schmuckblatt, das, eingearbeitet in eine Flechtschale, aus dem Lager gebracht wurde. Überraschend entlassen, kehrte er ins Rheinland zurück, wo er illegal lebte und Lya wiedertraf, die zum zweiten Mal verhaftet, aber nach Monaten in einem Prozess freigesprochen und aus dem Zuchthaus entlassen worden war.
Emigration
Im April 1934 dann die gemeinsame Flucht nach Holland, im Frühherbst weiter nach Frankreich. In Paris fand Lya Arbeit in der „Deutschen Freiheitsbibliothek", deren Leitung sie bald übernahm. Hier wurden neben der Literatur des Exils und Analysen des Faschismus, Tageszeitungen gesammelt und den Emigrant*innen zur Verfügung gestellt. Broschüren, Bücher und das Blatt „DAS FREIE DEUTSCHLAND" wurden im Verlag der „Editions du Carrefour" publiziert. Hanns Kralik gestaltete für viele Publikationen unter dem Pseudonym „Jean" die Titelblätter und Illustrationen. Für Lesungen wie ,Literatur aus dem Konzentrationslager" machte er eine Ausstellung seiner Werke, war auch an der Vorbereitung der Ausstellung „Freie Deutsche Kunst" (1938) beteiligt, vermittelte Ausstellungen nach London, Amsterdam, Brüssel, Antwerpen. Zudem war er Mitglied im „Kollektiv Deutscher Künstler". In einer großen grafischen Folge setzte er sich mit der Zeit im Konzentrationslager auseinander.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen, am 1. September 1939, wurde die Deutsche Freiheitsbibliothek geschlossen, beschlagnahmt und versiegelt. Kralik wurde interniert, musste in der Nähe von Orleans Bäume fällen. Lya schreibt: "Wir Frauen waren noch frei. Aber von was sollten wir leben? Da hörten wir, dass ein jüdisches Komitee, das sogenannte Rothschild-Komitee, Frauen ohne Einkommen jede Woche einen kleinen Betrag gab, wenn sie für französische Soldaten strickten. Ich erinnere mich noch genau, dass ich jede Woche einen Pullover und zwei Paar Socken strikte. Das war Knochenarbeit!" (3)
Von September 1939 bis Mai 1942 wird Kralik in Lagern in Albi, Agde und Chanac interniert. Auch Lya wird gemeinsam mit vielen deutschen Frauen interniert. Freunde und Genossen helfen beiden, sich trotz Verlegungen in unterschiedliche Lager wiederzufinden. Im März 1940 heiraten Hanns und Lya.
Die deutsche Besetzung Frankreichs zwingt die beiden in die Illegalität; Kralik fälscht Ausweise und Dokumente für „Yvonne Colette Martin" und „Jean Paul Martin". Von 1943 bis 1945 arbeiten beide als Mitglieder der Bewegung „Freies Deutschland für den Westen". Sie leben in Lyon, produzieren Flugblätter, Zeitungen und Flugzettel, die sie den deutschen Besatzern auf vielen Wegen zukommen lassen; bis zu Flugzetteln auf Zigarettenpapier reicht ihre Produktion.
Die Befreiung von Paris am 24. August 1944 ermöglicht es beiden, nach Paris zurückzukehren, wo er seine künstlerische Arbeit wieder aufnehmen kann. Ende Juni 1945 kommen beide, auch auf Aufforderung von Genossen aus Düsseldorf, nach Deutschland zurück: von Luxemburg aus mit dem Schlauchboot über die Mosel.
Düsseldorf
Im Oktober 1945 wurde Hanns Kralik Beigeordneter der KPD und Kulturdezernent im Amt für kulturelle Angelegenheiten der Stadt Düsseldorf. Er traf auf vielfachen Widerstand anderer Parteivertreter bei seinen Versuchen, die zerstörten Kulturinstitutionen wieder aufzubauen; seine Idee, eine antifaschistische Linie als Grundlage der Arbeit in Breite durchzusetzen, fand in den bürgerlichen Parteien und der Verwaltung immer wieder Widerstand. Bereits 1946 hatte Oberstadtdirektor Hensel eine „vorsorgliche Kündigung" ausgesprochen, der aber Kralik wiedersprach. Auch in den folgenden Jahren gab es immer wieder Beschneidungen seiner Zuständigkeiten und Behauptungen seiner dienstlichen Unterlassungen.
„Nachdem über Jahre versucht wurde, Kralik fachliche Unfähigkeit nachzuweisen, bot seine KPD-Mitgliedschaft zunächst den offiziellen Grund für seine Entlassung. Der Historiker Wolfgang Horn kommt zu dem Schluss, dass Hanns Kralik als Kulturdezernent das kulturelle Nachkriegsleben zwar entscheidend mitgeprägt habe, in die Verwaltung und die Düsseldorfer Gesellschaft aber nie wirklich integriert war. Als Hintergrund sah er die Parteizugehörigkeit Kraliks: Diese Rückhalte gegenüber Kommunisten entsprachen der generellen Situation Westdeutschlands in der Nachkriegszeit.'" (4)
Kralik selbst schreibt 1970 dazu: "Es war auch dort für mich ein Neubeginn. Von den 17 Instituten war keines intakt geblieben. Schrittweise bauten wir mit guten Erfolgen auf, aber im Herbst 1950 wurde durch eine Anordnung Adenauers die Verwaltung von Kommunisten gesäubert*, und so wurde auch ich nach sechsjähriger schwerer Aufbauarbeit hinausgeworden." (5)
Die letzten Lebensjahre verbrachten beide in Düsseldorf. Hanns Kralik als freischaffender Maler und Grafiker, Lya Kralik seit ihrer Rückkehr aktiv in der KPD-Kreisleitung und als „Kulturbund-Sekretär". Nach dem Verbot der KPD und weiterer linker Organisationen 1956 blieb sie aktiv, unternimmt Reisen in die Sowjetunion und die DDR. Kraliks künstlerisches Werk spiegelt in den Jahren bis zu seinem Tod im Jahre 1971 intensiv die Erlebnisse der Landschaft im Rheinland und der Eifel, in der Stadt Düsseldorf, ebenso aber auch seine bewusste Teilnahme an politischen Bewegungen, der Erinnerung an Faschismus und Deportation. Seine wohl letzte Arbeit, „Die letzte Station" (1971), zeigt ein älteres Paar mit Judenstern, umgeben von einer Gruppe Menschen, vor dem Zug, der sie deportieren wird.
Hanns Kralik stirbt am 9. Mai 1971. Seine Frau wirkt in Düsseldorf weiter politisch und in der Erinnerungsarbeit an ihren Mann; 1980 initiiert sie eine Zeltausstellung von Werken Kraliks mit dem Kunstmobil Pepe Alvermanns vor dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Wenig spater wird diese Ausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf noch über einen Monat gezeigt.
Am 28. März 1981 stirbt Lya Kralik in Düsseldorf.
Ulrich Krempel
Anmerkungen
- Kopp/Stein/Tuchscherer: Hanns und Lya Kralik, Kunst und widerständiges Leben, Essen 2011, S.24, Anm. 17
- Hanns Kralik, Rückblick, in: Hanns Kralik, Mensch, wie stolz das klingt. Kunst und Politik, Moers 2023, S. 191
- Lya Kralik, Rückblick, in: a.a.O., S.208
- Diana Finkele, „Antikommunistisches Grundrauschen"? Hanns Kralik als Kulturdezernent (1945-1950/51), in: a.a.O., S. 70
- Hanns Kralik, Rückblick, in: a.a.O., S.200